In den vergangenen Monaten haben wir mit Eurer Hilfe viele Transporte nach Griechenland bestückt oder selbst organisiert, um Hilfsgüter zu den Geflüchteten zu bringen. Da wir uns mittel- und langfristig auch um die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen, die in Griechenland festsitzen kümmern wollen, haben wir einige Projektideen entwickelt, die aufwendiger sind, als „nur“ Hilfsgüter bereitzustellen.
Am 22.4. flog ich deshalb zusammen mit Kai nach Thessaloniki, um mit möglichst vielen vor Ort arbeitenden Organisationen in Kontakt zu kommen und die Lage aus eigener Anschauung zu verstehen. Neben dem Besuch des großen Camps in Idomeni wollten wir insbesondere auch einige vom Militär betriebene Camps ansehen, um besser abschätzen zu können, wie wir dort Infrastrukturmaßnahmen wie Kindergärten, Schulen, Küchen oder Distributionspunkte umsetzen können.
Soweit der aus der Ferne gemachte Plan.
Die Realität traf uns mit voller Wucht: Insgesamt besuchten wir 4 Militärcamps, davon eines, das bisher noch gar nicht in einer frei zugänglichen Statistik auftaucht. Bei drei dieser Camps war es schwierig genug, auch nur Zutritt zu erhalten. Fotografierverbot herrschte überall, und das, obwohl die Militärcamps auf den ersten Blick ordentlich daherkommen: Im Raster angeordnete Zelte, alle gleich, numeriert, sauber abgespannt. In jedem Camp fanden wir Menschen, deren Gemütszustand von resigniert über traurig bis zu wütend und verzweifelt reichte. Wo immer wir mit den Menschen sprachen, hörten wir Geschichten von Trennung und Verlust, von Leid. Aber das Gespräch war wichtig. Durch ein Camp zu laufen, ohne mit den Menschen zu reden, erzeugte in mir das Gefühl, als Besucher durch einen Zoo zu laufen. Oder das eines weißen Kolonialherren, der durch eine Plantage läuft. Es ist beschämend, Menschen in Lebensumständen zu sehen, die schlimmer sind als in jeder Haftanstalt. Zu wenig Toiletten, teilweise keine Duschen, jeden Tag das gleiche kalte Essen, für Erwachsene und Kinder, meist keinerlei Unterhaltung, meist keinerlei Schatten. Zu realisieren, dass alles, was wir tun können, nur die Linderung eines realen Albtraums ist, macht Hilfe zynisch. Fragt man die Menschen, was wie brauchen, kommt unisono die Antwort: Es ist uns egal, was wir essen, wie wir schlafen, wir wollen nur weg. Wir wollen in Würde leben, wir wollen unsere Frau, unsere Kinder, unsere Eltern wiedersehen. Wir wollen nicht langsam durch Vergessen sterben. Beschäftigung und Unterhaltung, Bildung, psychologische Betreuung, Rückzugsorte, echte Herausforderungen, die einen Sinn ergeben: Fehlanzeige.
Die absurde Situation, dass der Zufall bestimmt, ob man sich frei bewegen darf, abends ein ein sauberes Hotelzimmer mit allen Annehmlichkeiten vorfindet, und für 80 Euro einen Rückflug nach Deutschland, oder eben ein kaltes Sandwich und eine Schlafstatt auf felsigem Boden, ohne Aussicht auf ein Weiterkommen, ist verstörend. Wenn 50.000 Menschen in einem Land versorgt werden müssen, das selbst durch 25% Arbeitslosigkeit am Boden ist, wo 50% aller jungen Menschen keinen Job haben, wo sich überall Solidaritätsbewegungen gründen, um die Bürger mit Essen und medizinischer Hilfe zu versorgen, da entsteht schnell eine explosive Stimmung, wenn auf einmal auch noch Geflüchtete Hilfe benötigen, die bisher schon für viele Einheimische kaum reichte.
Wir standen da und wußten nicht, wo wir überhaupt anfangen sollten. Dazustehen, und zu realisieren, dass alles, was man macht, nicht mehr bringt, als einem am tödlichen Krebs erkrankten Menschen zumindest die Kopfschmerzen zu nehmen, ernüchtert und wirkt wie ein Schlag in den Magen. 50.000 in Griechenland gestrandete Menschen sind 50.000 Einzelschicksale, 50.000 mal „harte Bilder“, und nicht wir müssen aushalten, sondern sie. Jeden Tag.
Wir fühlen uns gut, wenn wir den Geflüchteten helfen mit Kleidung, Essen, Medikamenten oder Zelten. Es ist eigentlich nichts. Es ist nicht das, worauf sie ein Recht haben: auf Menschenwürde. Wir Freiwilligen tun all das, was offizielle Stellen sowieso nicht leisten. Und wir dürfen auch nicht aufhören. Denn Aufgeben ist noch schlimmer. Den Menschen zu zeigen, dass da jemand ist, der sich kümmert, der nicht gleichgültig ist, der alles tut, was er kann, um zu helfen. Der zuhört. Der vielleicht genau den Beitrag leistet, der den Unterschied macht zwischen Aufgeben und Weitermachen. Wir Freiwilligen sind keine Helden, keine Retter. Wir leisten mit unseren beschränkten Kräften einfach nur das Mindeste.
Im Gegensatz zu den Militärcamps ist die Lage in Idomeni schon fast fröhlich zu nennen. Die Zelte sind improvisiert. Dunkle, stinkende Rauchschwaden von Feuerstellen überall, Schlamm bei Regen, Hitze bei Sonnenschein. Und dennoch: spielende Kinder, oft lachende Menschen. Weil hier, in einer Freiheit, die nur im Norden durch einen Stacheldraht abgeschnürt ist, immer noch dieser Funken Hoffnung herrscht. Und die Zuwendung der vielen Freiwilligen, die mit Tee, Essen, Kleidung oder einfach nur Aufmerksamkeit, mit Scherzen eine fast festivalartige Stimmung verbreiten. Doch es ist absehbar, dass dieses informelle Camp geräumt wird, die Menschen in offizielle Camps verlagert werden. Damit wird es für kleinere Organisationen wesentlich schwerer zu helfen, weil der Zugang zu diesen Camps so stark reglementiert ist.
Wir planen. Wir wollen den Schwächsten helfen. Wir wollen Orte schaffen, an denen Kinder Kind sein können. An denen Mütter Ruhe und Schutz finden für sich und ihre Babies. Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen sich einen Alltag gestalten können, der mehr ist, als nur das Warten auf die Essensausgabe am Mittag. Und gemeinsam mit Euch, und mit unseren Partnern, hier in München und vor Ort, werden wir das schaffen. Schritt für Schritt. Das ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint.
Wir danken Dominik Weinberg von IHA – InterEuropean Human Aid Association, Aslam Obaid und Robert Martinković, ohne deren viele Kontakte und Vernetzungen dieser Einsatz an den Toren der Camps geendet hätte. Danke auch an Chris von InterVolve – International Volunteers Crew Eidomeni, die mit viel Geduld und Wissen auf die Situation der „vergessenen“ Camps aufmerksam macht.
Was wir schon erreicht haben:
Ausstattung eines Camps mit 400 Feldbetten. Besserer Schlaf und mehr Sicherheit vor Schlangen
Ausstattung vieler Menschen mit Töpfen, damit sie sich selbst Essen zubereiten können
Errichtung eines Schulzelts im Militärcamp Nireas, unter Koordination von Robert Martinkovic
Was wir noch vorhaben:
Ausstattung kompletter Camps mit neuer, hochwertiger Sommerkleidung
Sicherstellung der Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln
Schaffung von sicheren Räumen (safe spaces) für Mütter und Kinder
Mitarbeit an der Koordinierung von Hilfsleistungen für Militärcamps, Optimierung der Hilfslogistik
All diese Projekte können wir nur mit Eurer Hilfe realisieren. Dafür werden wir in den nächsten Tagen konkrete Planungen vorstellen, betterplace-Fundraising einrichten und Euch die Gelegenheit zur persönlichen Mitarbeit geben.
Doch schon jetzt könnt ihr direkt spenden auf unser Konto bei der Stadtsparkasse München, IBAN DE47 7015 0000 1004 2328 54, BIC SSKMDEMMXXX, Kontoinhaber Heimatstern e.V.
Die Bilder zu diesem Beitrag stammen aus Idomeni. Bei den meisten Bildern haben wir Erläuterungen angefügt, die die Situation weitergehend erklären.